Nicht vergessen: Stolpersteine & Ukraine

Wenn uns die Gedächtnisforschung eins lehrt, dann, dass unser Gedächtnis ziemlich schlecht ist. Wobei “schlecht” etwas unscharf formuliert ist: Es ist ungenau zugunsten der Effektivität. Diese Ungenauigkeit ergibt sich durch die verschiedenen Arten und Weisen, auf die Erlebnisse als Erinnerungen abgespeichert werden. Dabei werden Informationen, die für uns eine Bedeutung haben und sich immer wiederholen besser abgespeichert als die, die für uns bedeutungslos sind und nur einmalig angeboten werden.
Ist eine Information im Gedächtnis, heißt das aber lange noch nicht, dass wir jeden Tag bewusst daran denken. Es wäre für die meisten Menschen wahrscheinlich relativ unpraktisch, wenn sich ihnen minütlich der Satz des Pythagoras oder die Hauptstadt von Eswatini (es ist Mbabane) aufdrängen würde. Wenn eine bestimmte Information lange genug nicht mehr benötigt wird oder mehr und mehr an Bedeutung verliert, verschwindet sie langsam aus dem Bewusstsein. Ich habe zwei Freunde (sie kennen sich gegenseitig nicht), die regelmäßig – wenn sie an Stolpersteinen vorbeikommen – stehenbleiben und innehalten, um an das zu denken, wofür sie stehen. Auf meiner Straße findet sich der Stein zu Emil Mahnert, der durch einen Polizisten mit einem Stoß aus dem zweiten Stock des damaligen Präsidiums ermordet wurde.Das ist eine traurige Begebenheit und es ist nicht angenehm, daran zu denken. Ich kann mich nur an die Dinge erinnern, die ich über die Geschichte Deutschlands gelerent habe und mir bewusst machen, was damals warum passiert ist. Und mir überlegen, wie ich dazu beitragen kann, dass so etwas nicht wieder passiert. Indem ich das hin und wieder tue, rufe ich diese Information hoffentlich oft genug auf und gebe ihr genug Bedeutung, um nie zu vergessen, was einmal gewesen ist.
Ein deutlich aktuelleres Beispiel kommt im weitesten Sinne aus der Politik. Ich meine hier nicht die PolitikerInnen, die bei Skandalen auf den Faktor Zeit und darauf setzen, dass die Wähler schon vergessen werden, was sie sich alles geleistet haben (auch wenn man darüber nochmal einen separaten Post verfassen könnte). Ich beziehe mich hier auf den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Die russische Armee hat sich schon zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Ganz vorne mit dabei sind der Einsatz verbotener Waffen und das Abschlachten wehrloser Zivilisten. Zu Beginn des Krieges habe ich (auch von Bekannten) noch Meinungen gelesen, die Russland verteidigten und ziemlich naiv Propaganda übernommen haben (z. B. “Putin hatte keine andere Wahl bei der Bedrohung durch die NATO”). Putin scheint neben Desinformation auch darauf zu setzen, dass der Krieg schon uninteressant genug werden wird, wenn er nur lange genug dauert. Das ist keine unbegründete Annahme wenn man sich die Entwicklung des öffentlichen Interesses zu anderen Konflikten in der Welt anguckt. Was war nochmal die Bedeutung von Bergkarabach? Den Gefallen wollen wir ihm aber nicht tun, oder? Niemand, der nicht massiv masochistisch veranlagt ist, will sich von morgens bis abends nur mit Krieg und Leid beschäftigen. Es täte uns allen aber gut, uns regelmäßig bewusst an die Informationen zu erinnern, von denen wir überzeugt sind, dass sie nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Das Völkerrecht betrifft auch uns. Sława Ukrajini!

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