Zensur im Gewand vom Urheberschutz

Worum geht es?
In der EU soll ein Gesetz verabschiedet werden. Hintergrund: Google, Facebook, Twitter und andere besorgen sich Nachrichten, Texte und andere urheberrechtlich geschützte Werke, um sie – meistens in kleinen Teilen – auf ihren Seiten darzustellen. Konkret könnte es hier zum Beispiel um einen Zeitungsartikel gehen, dessen Überschrift, Titelbild und erste Textzeilen in einer Vorschau auf einer der genannten Seiten auftauchen. Dadurch wird das Urheberrecht verletzt und die Unternehmen können sich so an den Leistungen anderer bereichern, ohne dafür zu zahlen. Das soll sich durch das Gesetz ändern.

Was spricht dafür?
Es darf wirklich nicht sein, dass Plattformanbieter sich durch das geistige Eigentum anderer bereichern, ohne dafür Abgaben zu zahlen. Die Bereicherung erfolgt vor allem durch Werbung. Auf dem Gebiet der Onlinewerbung beherrschen in der EU zwei große Unternehmen – man könnte von einem Duopol sprechen – den Markt: Google und Facebook. Durch ihre Stellung gibt es für Konkurrenz wenig bis keine Chance und die Prognose deutet eher auf einen Wachstum des Anteils an der Gesamtonlinewerbung hin. Mit der Werbedominanz würden so nach und nach Verlage verdrängt werden, was einer Informationsdominanz gleichkäme. Das war vor 30 Jahren noch kein Problem, denn da war der Leser ja an die jeweilige Zeitung gebunden, um seine Informationen zu beziehen und die hat dann die Urheber bezahlt.

Was spricht dagegen?
Technisch müsste das Vorhaben durch einen Upload Filter umgesetzt werden. Das würde bedeuten, dass alle Plattformen eine Software etablieren müssten, die sämtliche Dinge, die hochgeladen werden, mit einer Datenbank, in der alle durch das Urheberrecht geschützten Materialien erfasst sind, abgleichen müsste. Diese Software würde dann entscheiden, ob etwas gegen das Urheberrecht verstößt und somit blockiert werden müsste. Das ist technisch schwer bis gar nicht umsetzbar, schon gar nicht für kleine oder mittelgroße Plattformen. Auch für große Plattformen, wie bspw. Wikipedia (die haben zig tausend Uploads jeden Tag), könnte das das Aus bedeuten.
Youtube nutzt hierfür die sogenannte ContentID. Dieses System ist extrem schlecht, denn es meldet viel zu viele “False Positives”, sperrt also oft Inhalte, die gar nicht gegen das Urheberrecht verstoßen. Wenn man solche Systeme jetzt noch etwas genauer betrachtet, liefert das vorgeschlagene Gesetz in der Essenz die Basis für eine Zensur des gesamten Internets. Es wird eine Infrastruktur etabliert, die quasi den gesamten Netzverkehr überwacht und einzelne Inhalte blockieren kann. So etwas gibt es bisher in der Form zum Beispiel in China; dort sperrt der Staat einfach alles, was ihm nicht passt. Links, Memes, Parodien und Propgrammierportale hätten ein Problem. Das Internet, wie wir es kennen, könnte mitsamt seiner Meinungsfreiheit vor dem Ende stehen.

Was wäre besser?
Besser wäre bspw. eine Regelung zu finden, bei der das Allgemeinwohl und nicht das Wohl großer Verlage im Vordergrund steht. Zeitungen trifft neben der Digitalisierung, bei der sie sich sehr schwer tun, vor allem der Wegfall der Werbeeinnahmen. Die gehen an die Konzerne, die die meisten Daten über uns haben und somit die besten Profile über uns erstellen können. Wenn man diese Werbung reglementieren würde, würden sich die hierdurch entstehenden Einnahmen vermutlich wieder anders verteilen. Außerdem sollte man tunlichst davon absehen, selbst kleinste Linkschnipsel als geistiges Eigentum zu betrachten;

Fun Facts
Die Idee von Upload Filtern war auch Thema bei den Koalitionsverhandlungen in Deutschland. CDU und SPD haben sich hier explizit darauf geeinigt, eine solche Technologie auf keinen Fall zum Einsatz kommen zu lassen. Das scheint Axel Voss (CDU) aber egal zu sein. Er fordert trotzdem das Gesetz, das eben diese einführen soll.
Der Axel Springer Verlag lobbyiert richtig hart für die Einführung. Die geben sogar zu, dass es ihnen vor allem darum geht, unabhängige und alternative Nachrichtenangebote aus dem Weg zu räumen.
Der erste Entwurf von Voss wurde letzte Woche im EU Parlament abgelehnt, nachdem er eine knappe Mehrheit im EU Rechtsausschuss erhielt. Er soll nun überarbeitet werden. Bleibt also wachsam, kontaktiert eure politischen Vertreter und merkt euch das Abstimmverhalten der Parteien für die nächste Wahl.

Weitere Links
– Sasha Lobo zur Entwicklung des “Axel Springer Gesetz”
– Axel Voss (CDU) und Julia Reda (Piraten) schreiben hier ihre Argumentation nieder. Das Ziel von beiden ist löblich. Voss bleibt in seiner Argumentation jedoch sehr vage, während Reda konkrete Beispiele und wissenschaftliche Quellen für ihren Standpunkt bemüht.
– Save Your Internet Kampagne

Aufmerksamkeit des Populismus

Trump und die AfD haben etwas gemeinsam: Sie erzeugen Aufmerksamkeit. Das ist eine der Methoden, durch die sie dahin kommen konnten, wo sie heute sind. Inhalte sind eher selten und nur basal vorhanden. Es geht irgendwie um den Schutz von “uns” vor der schrecklichen Gefahr der “anderen”. Detaillierter wird die Argumentation nicht und dürfte sie auch gar nicht werden, denn dann würde man die tieferliegenden argumentatorischen und/oder moralischen Verfehlungen erkennen. Detaillierter muss die Argumentation aber auch nicht werden, denn anscheinend kommt es vielen Menschen gar nicht darauf an. Es reicht, durch provokante Thesen, die ein manchmal nur vages Gefühl bedienen, ins Rampenlicht zu rücken.
Man bedient sich hierbei verschiedener psychologischer Mechanismen: Zum einen bleibt etwas besonders Außergewöhnliches besonders leicht im Gedächtnis. Darüber hinaus kann man durch das Lenken von Aufmerksamkeit Menschen dazu bringen, andere Dinge gar nicht mehr wahrzunehmen. Um das zu illustrieren, hier ein kleines Video:

Des Weiteren ist Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource. Das ist gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung, in der durch großflächige Verfügbarkeit von Bildschirmen mit Unterhaltungsangeboten stets Reize verfügbar sind bedeutsam, denn wenn wenig Aufmerksamkeit verfügbar ist, muss man wenige vorhandene Aufmerksamkeit schnell und simpel auf sich ziehen. Dann gibt es noch das Phänomen, dass Menschen automatisch das, was ihnen auffällt, für wichtig halten. Vor dem Hintergrund wirkt es besonders verhängnisvoll, dass rechte Politiker mit vermeintlich skandalösen Aussagen durch Einladungen in Talkshows oder Interviews in Magazinen belohnt und bis zum Erbrechen rezitiert werden. Und zu guter Letzt fühlen sich Menschen auch noch in ihren Meinungen über eine bestimmte Sache bestätigt, wenn sie nur die Sache (nicht etwa die Meinung über die Sache) irgendwo wiedersehen.
Ein erster Schritt gegen Populisten kann es also schon sein, Menschen über die Mechanismen von Aufmerksamkeit aufzuklären und ihnen (also den Populisten) keine Beachtung zu schenken. Leider scheinen Populisten die Medien besser zu verstehen, als die Medien sich selbst. Wichtiger wäre, über die Mechanismen der Beeinflussung und über Fakten zu berichten, anstelle sich zu empören.

Sehr zu empfehlen ist hierzu ein älteres Segment aus dem Neo Magazin Royal.

Russland

Guckt man sich dieser Tage Russland und Amerika an, könnte man meinen, der kalte Krieg hätte nie aufgehört. Sich im direkten Gegenüber die Köpfe einzuschießen hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt, deswegen führt man lieber Stellvertreterkonflikte um politischen Einfluss aber eigentlich hauptsächlich um Ressourcen in Ländern, in denen sich wegen der desaströsen sozioökonomischen Lage niemand dagegen wehren kann. Oder man manipuliert eben im Verborgenen und tut dann so, als wisse man von nichts.
Ohne Frage ziemlich asozial und wenig zielführend. Und beide Seiten geben sich da relativ wenig. Die USA versuchen, Videos auf denen Soldaten offensichtlich Zivilisten und Journalisten ermorden, verschwinden zu lassen. Russland bombardiert ein Krankenhaus. Die NSA überwacht alles, Russland manipuliert den Wahlkampf. Eine Frau, die brutalste Foltermethoden angeordnet hat wird, Chefin der CIA. Von irgendwo her taucht ein tödliches Gift auf und erwischt einen ehemaligen russischen Agenten.
Das könnte man endlos so weiterführen und die Liste an unmenschlichen Gräueltaten würde  lang sein. Da geben sich auch beide Seiten nichts. Seit der Wahl Trumps sind auch die Führungsstile der Länder näher aneinander gerückt. Ziemlich eindeutig verdienen also beide Verachtung.
Doch findet in der öffentlichen Diskussion eine interessante Gewichtung statt. Da wird dann auf einmal das kriegerische Handeln der USA, das angeblich zur Verteidigung dient (denn sonst wäre es ja völkerrechtswidrig) in Schutz genommen. Zuletzt saßen in einer Runde bei Anne Will einige Menschen, um sich über ein relatiertes Thema zu unterhalten. Guckt man sich an, wer da saß, findet man schnell heraus, dass drei der Gäste im Vorstand der proamerikanischen Transatlantischen Brücke sitzen, also einem Interessen-/Lobbyverband. Das wird in der Sendung nicht erwähnt. Und sehr oft fällt mir auf, dass ich – obwohl ich versuche, mich relativ umfassend und ausgewogen zu informieren – kaum amerikaskeptische Berichte entdecke.
Außer in ziemlich linken Medien. Da wiederum sind die USA immer der Teufel. Und – noch viel erschreckender – Russland ist ganz lieb und unschuldig. Gut, im Bundestag ließen sich kürzlich auch einige Linke Politiker dazu hinreißen, die Annexion der Krim als widerrechtlich einzuordnen, aber nur in einem Nebensatz, der dazu diente, mit einem “, aber…” eine Kritik an Amerika einzuleiten.
Da frage ich mich schon, was in den Köpfen dieser Menschen vor sich geht. Nur weil der eine blöd ist, heißt das nicht, dass der andere automatisch toll sein muss (und umgekehrt). In Russland steht es um die Menschenrechte deutlich schlechter, als in den USA. Und auch in anderen Vergleichen kommt die russische Föderation schlechter weg. Nur, weil Lenin irgendwann mal den Kommunismus ausprobiert hat, feiern sie jetzt ein Land, das autokratisch regiert wird und extrem weit weg von irgendeiner Idee von sozialer Gerechtigkeit existiert? Lieber würde ich sehen, dass die Bewertung beider Länder anhand ihres Handelns getroffen und nicht gegeneinander aufgewogen wird. Sonst kommen wir schnell in den ach so beliebten Whataboutism, der nur die Aufmerksamkeit umlenkt ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung und somit auch ohne eine Veränderung zu bewirken.

Reichtum macht reich: wie Deutschland gerechter werden kann

Jens Spahn (CDU) hat vor ein paar Wochen behauptet, man könne gut von Hartz IV leben und, dass wir keine Tafeln bräuchten. Unlängst kam heraus, dass die Regierung den Hartz IV Satz künstlich runter gerechnet hat – u. a. um Milliarden an Einkommenssteuer zu sparen (höherer Hartz Satz = höherer Freibetrag). Insofern kann man Herrn Spahn vielleicht sogar Recht geben: mit dem “richtigen” Satz könnte man von Hartz IV leben. Über das “gut” kann man dann immer noch streiten. Immerhin hat die Regierung einen Abschied vom System Hartz angekündigt.
Auch bei den Tafeln hat er Recht: Deutschland ist ein so wohlhabendes Land, dass es problemlos möglich wäre, alle Menschen zu ernähren. Niemand müsste auf der Straße leben und keine privaten Organisationen müssten sich um die Verteilung von Essen kümmern. WENN das Land seiner Verpflichtung nachkommen würde, den Wohlstand zu nutzen, um dem Allgemeinwohl zu dienen. Da das nicht passiert und die Regierung hier scheinbar auch nach der Aufregung um die Essener Tafel, die nur noch Nahrung an “deutsche” Besucher ausgegeben hat (was auch eine höchst fragwürdige Entscheidung war), keine Veränderungen in Aussicht stellt, brauchen wir die Tafeln aber leider doch.
Dabei wären Veränderungen bitter notwendig. Während sich immer mehr Reichtum bei immer weniger Menschen versammelt (die zehn reichsten Deutschen besitzen über 50% des Vermögens [1]), gibt es immer mehr Menschen, die in Armut leben müssen (die ärmsten 50% besitzen gar kein Vermögen, wenn man ihre Schulden mit einbezieht) – also haben sie absolut (und nicht relativ) gesehen weniger Geld zur Verfügung. Und das in einem wohlhabenden Land. Die Schere zwischen arm und reich, die trotz der Beteuerung zahlreicher Regierungspolitiker, etwas dagegen tun zu wollen, immer weiter auseinander geht, ist ein eine Entwicklung, die in höchstem Maße gesellschaftsschädigend ist. Einkommensungleichheit ist eine Wachstumsbremse für ein Land. Sie hat außerdem Unzufriedenheit zur Folge, die mutmaßlich ihren Teil zum Ergebnis unserer letzten Bundestagswahl beigetragen hat. Des weiteren ist ein gewisser (finanzieller) Lebensstandard zur Zufriedenheit unerlässlich, wohingegen ab einer gewissen Grenze das Vermögen in keiner Korrelation mehr zur Zufriedenheit steht. Ein höheres Einkommen ist außerdem assoziiert mit einer besseren Gesundheit und höheren Lebenserwartung (keine Kausalität). Hier fällt einem unser Zweiklassengesundheitssystem ein. “Geld ist Macht” ist zudem leider ein treffendes Sprichwort.
Natürlich nehmen die “Reichen” den “Armen” das Geld nicht weg. Deswegen ist das Wort “Umverteilung” auch sehr irreführend. Die ärmsten Deutschen sind ja nicht arm, nur weil die reichsten Deutschen reich sind. Der wichtigste Akteur ist der Staat: er schafft die Rahmenbedingungen, die zu so einer Entwicklung überhaupt führen können. Und auch wenn unsere Regierung immer wieder betont, wie wichtig soziale Gerechtigkeit ist, sind entscheidende Mittel hierzu weitestgehend Tabu.
Ein höherer gesetzlicher Mindestlohn wird immerhin noch diskutiert. Hier muss die Regierung natürlich kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen, damit die daran nicht zugrunde gehen.
Auch die Debatte über Erhöhung der Hartz IV Sätze könnte nach der jüngsten Meldung über die “Schönrechnung” neu entfachen. Hier hören die Ideen dann aber auch auf.
Dabei wäre eine sehr effektive Maßnahme, die Einkommenssteuer im Spitzenverdienerbereich zu erhöhen. Der Satz liegt gerade bei 45%, die durch Freibeträge und Subventionen freilich nie erreicht werden.
Die 1997 abgeschaffte Vermögenssteuer könnte außerdem ein Mittel sein, um gegen das immer stärkere Anhäufen von Vermögen vorzugehen.
In Deutschland zahlt man auf Arbeit mehr Steuern als auf die Erträge durch Kapital. Wenn ich also einfach Geld besitze und das anlege, vermehrt sich mein Vermögen, ohne, dass ich irgendetwas dafür tue. Gehe ich für das gleiche Geld Arbeiten, muss ich einen deutlich größeren Anteil abgeben. Damit sich einfaches “Geld besitzen” nicht mehr lohnt als Arbeit, sollte die Kapitalertragssteuer erhöht werden.
Eine Finanztransaktionssteuer würde außerdem den Staat an den Geschäften des Finanzmarkts stärker beteiligen.
Zu guter Letzt sei auch noch die Erbschaftssteuer erwähnt. Circa ein Viertel der heutigen Superreichen sind deshalb reich, weil sie reiche Eltern hatten. Und das wären sie auch nach einer Besteuerung noch, nur eben etwas weniger. Ungefähr drei Prozent des Vermögens wird in Deutschland jedes Jahr vererbt. Davon sieht der Staat aber dank Sonderregelungen und Freibeträgen viel weniger.
Skeptiker befürchten bei Steuererhöhungen oft den Weggang der Besserverdiener oder den Wegzug von Firmen in andere Länder. Ich halte diese Befürchtungen für etwas übertrieben. Für die Regierung würde es natürlich bedeuten, die Unterstützung durch einige finanzstarke Gruppen zu verlieren – was aber der Gerechtigkeit nicht schaden würde.

Mit den Mehreinnahmen könnte der Staat auf direktem oder indirektem Weg viele Menschen aus der Armut heraus holen, ohne einen weiteren in die Armut zu schicken. Menschen in anspruchsvollen oder anstrengenden Berufen würden weiterhin mehr verdienen als welche in einfacheren. Es wäre eine gerechtere Welt mit mehr zufriedenen Menschen, in der jeder gut von Hartz IV leben könnte und wir keine Tafeln bräuchten.

Fußnoten:
[1] Diese Zahlen beruhen auf einer Umfrage. Vermutlich ist das Ergebnis noch extremer, denn die Teilnahme war freiwillig. Die aller Reichsten haben tendenziell vermutlich gar nicht teilgenommen.

Vokabular in Nachrichten

Clicks regieren die Welt. Clicks bedeuten mehr Einnahmemöglichkeiten durch Werbung. Und Clicks bekommt man, indem man die Aufmerksamkeit eines Menschen erregt (oder Bots kauft). Binnen weniger Sekunden entscheidet ein Mensch, ob er seine Aufmerksamkeit auf etwas richten will oder nicht. So werden Überschriften immer wichtiger als Inhalte. Außerdem nehmen die Printmedien so wenig ein wie noch nie und müssen daher vielleicht auch an der Qualität der Berichterstattung sparen. Oft werden kurze Meldungen blind von zig Portalen übernommen, ohne diese zu überprüfen oder genauer zu recherchieren. Das könnten die Hauptgründe sein, weswegen mediale Berichterstattung so unsensibel und ungenau bei ihrer Wortwahl geworden ist. Man mag sich jetzt fragen: “Ist es denn so wichtig, immer genau die richtigen Worte zu finden?” Nein, nicht immer, aber manchmal eben schon. Die folgenden vier Beispiele sind mir spontan eingefallen:
‘Trolle haben versucht, die Bundestagswahl zu beeinflussen.’ – diese Überschrift habe ich neulich gelesen. Hier geht es um gezielte politische Einflussnahme über das Veröffentlichen bestimmter meinungsbildender Inhalte auf einer breiten Öffentlichkeit zugänglichen Plattformen. Denkbar wäre ein Post auf Facebook, der Flüchtlinge in ein negatives Licht rückt und durch Likes von Fake Accounts auf den Seiten vieler Nutzer angezeigt wird. Oder gezieltes Verbreiten von Falschmeldungen über Twitter Accounts, die dann ebenfalls von teils wirkliche bestehenden und teils fiktiven Personen geteilt werden. Ein “Troll” ist aber jemand, der erstens wirklich existiert und höchstens eine falsche Identität annimmt, der durch seine Beiträge bewusst versucht, andere hinters Licht zu führen oder antisozial zu sein, um eine Provokation hervorzurufen. Vereinfacht: “Ein Mensch, der sich freut, wenn er andere verarschen kann”. Die politisch motivierte und lange Zeit unbemerkte großflächige Meinungsmanipulation durch andere Nationen als “Troll” zu verharmlosen halte ich für ziemlich gefährlich. In großen Teilen der Bevölkerung besteht sowieso keine Aufklärung über die Möglichkeiten und Gefahren des Internets, da ist es umso schlimmer, wenn man nicht mal bei seiner Wortwahl differenziert genug ist, um eine Aufklärung zu ermöglichen.
‘Fake News’ – kein Neologismus, aber ein in seiner Bedeutung neu erfundenes Wortpaar. Donald Trump benutzt es, um Berichterstattungen, die ihm nicht gefallen, als “gefälscht” bzw. einfach falsch zu bezeichnen. Dabei bezeichnet der Begriff mehr als nur eine Falschmeldung, die zufällig getätigt werden kann, und unterstellt eine bewusst fehlerhafte Nachricht. Und sämtliche Berichterstatter übernehmen das: jedes Mal, wenn etwas – absichtlich oder nicht – falsch gemeldet wird, benutzt man auf einmal die Sprache eines vermutlich nicht sehr schlauen, narzisstischen Mannes, der die Kredibilität eines Mediums davon abhängig macht, wie wohlgesonnen es ihm ist. Dabei bietet unsere Sprache vielfältige Möglichkeiten zu differenzieren. Überhaupt deutsche Wörter zu benutzen, die ohne Trumps Neubedeutungszumessung auskämen, wäre ein großer Fortschritt.
‘Cyber’ – was ist dieses “cyber”? Richtig, damit sind einfach Dinge gemeint, die sich auf das Internet beziehen. Cyberkriminalität oder Cyberangriffe klingen natürlich viel cooler, aber verschleiern letztendlich auch nur das, was tatsächlich passiert ist. Cyberkriminalität ist meistens so etwas wie ein Scam, also z. B. wenn eine Website vortäuscht, ein bekannter Onlineshop zu sein, um an Nutzerdaten zu gelangen, oder Drogenhandel über das sogenannte “Darkweb”, welches einfach ein Netzwerk im Internet ist, zu dem man sich mit einem frei zugänglichen Programm verbinden kann. Ein Cyberangriff ist üblicherweise das vielfache Aufrufen einer Seite, um diese zu überlasten und so lahmzulegen oder der Versuch, über Sicherheitslücken Zugriff auf gefährdete Systeme zu bekommen.
‘Der sogenannte Islamische Staat’ – “sogenannt” weil die Terrororganisation IS überhaupt nichts damit zu tun hat, ein Staat zu sein. Viel gefährlicher noch weicht der Begriff die Grenze zwischen Islam und Islamismus auf. Das Wörtchen “sogenannte” vergisst der Kopf schnell, was hängen bleibt ist die Assoziation zwischen brutalen Anschlägen und großem Leid und dem Wort “Islamische”. Dabei finden die meisten Muslime es ganz schön scheiße, was der IS so treibt. Es würde vollkommen reichen, wenn man in den Medien von der “islamistischen Terrorgruppe IS” sprechen würde. Indem man die “Sprache” solcher Menschen übernimmt, unterstützt man sie ungewollt leider.
Ich lasse mir hier gerne Korinthenkackerei vorwerfen, aber achtet mal drauf und überlegt euch, ob es bei Millionen von Lesern/Zuschauern/-hörern nicht doch einen Unterschied machen würde, wenn Berichterstatter ihre Worte genauer wählen würde.